LTx - Tagebuch einer Transplantation
Leseprobe
zurück zum Buch
Impressum und eMail
Leider kann ich die Printausgabe nicht mehr ueber Amazon verkaufen, da mich die Vorschriften auffressen.Deshalb bitte direkt info@uwe-alberti.de bestellen, Lieferung innerhalb 1-2 Tagen, Bezahlung per paypal.
Die Zahl meiner MELD-Punkte betrug von Beginn an 24, änderte sich aber in den folgenden
zwei Monaten kein Stück. Das ganze Theater geht nun seit fünf Monaten. Nicht vorstellbar
wie oft ich hier noch aufkreuze und wie viele Eingriffe und Fieberschübe ich noch erdulden
muss. Ich warte auf ein Wunder, was die Punkte hochtreibt.
Und: Ich warte auf das Sterben eines Menschen. Möglichst groß und kräftig, möglichst jung,
möglichst gesund, möglichst kein Trinker. Möglichst hier in der Nähe sollte er einen Unfall
haben oder einen Hirnschlag erleiden, die Organe alle intakt, nur das Hirn darf nicht mehr
leben.
Zwei Ärzte, die mit der Transplantation nichts zu tun haben, müssen unabhängig voneinander
innerhalb von 24 Stunden den Hirntod feststellen. Hirnströme und Hirnstammreflexe dürfen
nicht mehr nachweisbar sein. Der Tote oder besser: der unumkehrbar sterbenskranke
Mensch, wird künstlich beatmet, er ist an einem künstlichen Blutkreislauf angeschlossen, er
sollte mal einen Organspendeausweis ausgefüllt haben, mit dem er eine Entnahme seiner
Organe für den Fall seines Sterbens – nicht seines Todes – festlegt hat, er sollte mit seinen
Angehörigen genau darüber gesprochen haben und auch die sollten jetzt dazu eingewilligt
haben.
Er liegt jetzt auf einer Intensivstation, nur durch Maschinen beatmet und in seinen „Lebens“-
Funktionen unterstützt, selbst nicht mehr in der Lage zu fühlen, zu denken, sich zu äußern.
Aber doch frisch von der Hautfarbe, warm und äußerlich nur schlafend.
Hier sagen die Politiker, sagen beide deutsche Kirchen, hier sei ein Mensch tot und bereit
anderen Menschen mit seinen Organen neues Leben zu schenken.
Hirntote werden offiziell zu Toten erklärt. Nur so ist es rechtlich überhaupt möglich, Menschen
Organe zu entnehmen.
Darauf warte ich. Mit dem Warten verroht man, stumpft man ab. Mit dem Warten hofft man auf
das Leid einer fremden Familie.
Meine Frau besucht mich jeden Tag. Meist erst nach 20 Uhr, kommt von der Arbeit gehetzt,
quält sich durch den Verkehr, hat noch nichts gegessen. Aber sie ist da. Jeden Tag. Gestern
Abend hat sie mir Tulpen mitgebracht. Die Blumen stehen nun auf meinem Tisch ein schöner
Bund rot-gelbe Tulpen. Ein wahrer Lichtblick in dem schmucklosen Zimmer. Und die Sonne
scheint und wärmt so stark, dass man vom Fenster weg muss. Im Bett liegend geht es mir
allerdings auch besser, die Schmerzen sind dann fast weg.
Der Entlassung am Donnerstag folgten am Samstagabend bereits Fieber und Unwohlsein. Am
Montag kamen dann wieder die Oberbauchschmerzen hinzu, also wieder Klinik. Es war wohl
eher ein freies Wochenende.
Tag 178 Aufenthalt #10
Dienstag ist also erst mal ERCP, die 10. trörö!
Meine Frage nach Häppchen und Sekt im OP brachte zwar allgemeine Erheiterung, mir aber
wieder nur die Keule.
Ich kam gleich um 9 dran, war um 10 im Zimmer und dann gegen 15 Uhr richtig wach.
Zwischendurch hatte ich solchen Schüttelfrost, dass die Ärztin bei der Blutabnahme Probleme
hatte, die Nadel zu setzen. Auf meine Nachfrage, Stunden später, weshalb ich öfters nach
dem Eingriff Schüttelfrost bekäme, sagte sie, das während der Manipulationen an der
infizierten Gallenflüssigkeit, Bakterien in die Blutbahn gelangt sein können, was zu einer
akuten Sepsis führte. Mit Antibiotika – obwohl gar nicht klar ist welches Bakterium es war –
geht es am Abend schon wieder recht gut. Jetzt kommen auch die Schmerzen wieder, das
Schmerzmittel während der Behandlung hatte wohl lange angehalten.
Am Freitagmorgen sagte mir Dr. Siegfried, dass er mich übers Wochenende noch hier
behalten möchte, über Ausgang könne man sicher reden. Den meldete ich für Sonntagabend
gleich mal an. Mit der Bemerkung ich wolle in ein Konzert, wofür ich seit fast einem Jahr die
Karten habe. „Sie wollen wohl zu Andrea Berg?“ Mit so was ist mir noch niemand gekommen.
Ich und Andrea Berg. „Nö“, konterte ich wahrheitsgemäß, „ zu Rammstein“. Da ging er nur
kopfschüttelnd aus dem Zimmer.
Zwei Tage vorher habe ich schon trainiert, dreimal bin ich die große Runde um die Klinik
gelaufen. Jeder Gesunde würde über die zwei Kilometer nur müde lächeln, aber wenn man
lange genug im Bett liegt, ist man beim Besteigen des hügeligen Geländes und Stapfen durch
den Schnee doch außer Atem. Training für drei-vier Stunden Extrem-Konzert.
Die Zeit vergeht. Ich warte auf eine Leber. Inzwischen habe ich alle testamentarischen Dinge
geregelt, Verfügungen erlassen und Generalvollmachten erteilt.
Somit dürften alle Eventualitäten bedacht und geordnet sein, falls ich ein Leben nach der LTx
nicht schaffen sollte.
Irgendwie ein blödes Gefühl. Ich bin doch noch jung. Jetzt konkret über Sterbefolgen
nachdenken?
Am Tag 194 wurde von der Uni ein Lebertag veranstaltet. Es waren viele Transplantierte mit
ihren Angehörigen da. Und erstaunlich viele Paare, die sich Lebendspenden gegeben haben.
Es wurde gesprochen über die Immunsuppressiva und deren Nebenwirkungen, Reha-Dauer
und Erfolge. Und es kamen viele Lebendspender zu Wort.
Danach sagte meine Frau: “Nun frag doch endlich mal den Professor wie das mit einer
Lebendspende von mir ist.“
Das hat mich umgehauen. Eine Lebendspende war für mich von vornherein ausgeschlossen
worden. Zum einen ist meine Mutter als Spender viel zu alt, meine Schwester schied auch
aus, da sie gerade ein Kind geboren hat und meine Frau ist mit mir nicht blutsverwand.
Ich konnte mir auch keine moralische Rechtfertigung vorstellen, von einem lebenden,
gesunden Menschen zu verlangen, er möge doch sein gesundes Organ zerschneiden und mir
einbauen lassen.
Doch der Professor und die LTx-Ärztin waren sofort Feuer und Flamme. „Klar geht das.“